Anbauschlacht mit Hülsenfrüchten
Achim Walter ist ¨¹berzeugt, dass ein vermehrter Anbau von H¨¹lsenfr¨¹chten grosse Vorteile mit sich bringen w¨¹rde und stellt die Frage, wie man B?uerinnen und Bauern in der Schweiz von einer Umstellung ¨¹berzeugen k?nnte.
Der ETH-Professor f¨¹r Landwirtschaft und sp?tere Bundesrat Friedrich Traugott Wahlen, dessen 125. Geburtstag sich dieses Jahr j?hrt, war bem¨¹ht, die Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln in der Schweiz zu steigern. Bekannt wurde er damit, dass er einer drohenden Hungersnot im zweiten Weltkrieg mit einer ?Anbauschlacht? entgegenwirkte, auch bekannt als ?Plan Wahlen?. Das Hauptziel des ?Plan Wahlen? war es, mehr Menschen pro Hektar Anbaufl?che zu ern?hren und die knappen Lebensmittel gerechter zu verteilen. Daf¨¹r wurden vermehrt Kartoffeln und Gem¨¹se wie etwa Bohnen anstelle von Futtermitteln f¨¹r Tiere angepflanzt. Und wo stehen wir fast 100 Jahre sp?ter? Genau dieser Frage sind wir in einer neuen Studie nachgegangen.1
Abh?ngig von Importen
Die Schweizer Bev?lkerung hat einen hohen Bedarf an Fleisch- und Milchprodukten. Das notwendige Vieh ist teilweise auf Kraftfutter angewiesen, von dem wir etliches auf unseren Ackerfl?chen produzieren. Damit die Bauern verl?sslich wirtschaften k?nnen, haben wir uns jedoch auch abh?ngig gemacht von Futtermittelimporten aus dem Ausland, insbesondere von kosteng¨¹nstigem Soja aus L?ndern wie Brasilien. Die Pandemie und andere globale Krisen haben uns gezeigt, wie verletzlich Lieferketten sein k?nnen. Umso verst?ndlicher ist der Ruf nach einem h?heren Selbstversorgungsgrad ¨C am effizientesten erreichen wir diesen, wenn wir unsere Ackerfl?chen anders nutzen und insbesondere Proteine aus anderen Quellen erschliessen.
Im Jahr 2020 wurden etwa 60 Prozent der Ackerfl?che der Schweiz f¨¹r den Anbau von Tierfutter genutzt, w?hrend K?rnerleguminosen, also H¨¹lsenfr¨¹chte wie Erbsen oder Soja- und Ackerbohnen, lediglich einen geringen Anteil von 2,3 Prozent ausmachten. Dabei k?nnen Leguminosen pro Hektar mehr Menschen ern?hren, sind ges¨¹nder, brauchen weniger Wasser und Platz als die Viehzucht und verursachen kein Methanproblem. Zum Vergleich: Zu Wahlens Lebzeiten assen Schweizerinnen und Schweizer 30 kg Fleisch pro Person und Jahr, heute sind es rund 50 kg.2 Wenn wir weniger Fleisch essen w¨¹rden, w¨¹rden die Tierbest?nde in der Landwirtschaft sinken. Aufgrund der Reduktion k?nnte auf Futtermittelimporte verzichtet beziehungsweise der Selbstversorgungsgrad der Schweiz k?nnte erh?ht werden und somit k?nnte mehr f¨¹r die menschliche Ern?hrung angebaut werden.
Mehr H¨¹lsenfr¨¹chte, weniger CO2-Emissionen
An dieser Stelle ein Wort zu den Treibhausgas-Emissionen: Importe von Soja aus Regionen mit laxeren Umweltauflagen verursachen ?kologische Probleme, einschliesslich Entwaldung und einem hohen CO2-Ausstoss. Zudem sind 85 Prozent der landwirtschaftlichen Treibhausgasemissionen in der Schweiz auf die Nutztierhaltung zur¨¹ckzuf¨¹hren. Das entspricht rund 14 Prozent der Gesamtemissionen des Landes. Leguminosen sind da auf alle F?lle die bessere Wahl.
Zudem sind H¨¹lsenfr¨¹chte gut f¨¹r den Boden. Sie k?nnen Stickstoff aus der Luft binden und an den Boden abgeben, was sich positiv auf die Fruchtfolge auswirkt und den Bedarf an Stickstoffd¨¹ngung reduziert. Dies ist besonders relevant, da die Schweiz ein Problem mit ¨¹bersch¨¹ssigem Stickstoff hat. Eigentlich m¨¹ssten bis 2030 etwa 20 Prozent des Stickstoffs in der Schweiz eingespart werden. Weniger Tierproduktion w¨¹rde auch bedeuten: Weniger G¨¹lle und damit geringerer Stickstoff¨¹berschuss.
Umstieg leicht gemacht?
Angesichts dieser klaren Vorteile stellt sich die Frage, warum die Landwirtschaft nicht schon l?ngst auf den verst?rkten Anbau von Leguminosen setzt. Einen Grund sehe ich darin, dass Schweizer Bauern erst seit Januar 2023 Direktzahlungen erhalten, wenn sie Leguminosen f¨¹r den direkten menschlichen Verzehr anbauen. Dennoch bleibt es finanziell lukrativer, Fleisch zu produzieren durch die sogenannte ?Veredelung der Proteine?. Das, was an g¨¹nstigem Getreide auf dem Acker angebaut wird, k?nnen Bauern an Nutztiere verf¨¹ttern. Das Fleisch l?sst sich dann teuer vermarkten. Wenn Landwirte aus dieser Logik aussteigen m?chten, stehen sie vor dem Dilemma, dass sie sich oft f¨¹r ihre Tierst?lle hoch verschuldet haben und alleine schon daher nicht rasch aussteigen k?nnen.
?Wie k?nnen wir Betriebe unterst¨¹tzen, damit sie freiwillig auf den Anbau von Leguminosen umstellen??Achim Walter
Aktuell w¨¹rde es sich also f¨¹r einen Bauer oder eine B?uerin wirtschaftlich kaum lohnen, in grossem Massstab Leguminosen zu produzieren. Wie k?nnen wir Betriebe unterst¨¹tzen, damit sie freiwillig auf den Anbau von Leguminosen umstellen? Die Landwirtschaft muss aktiv in das Ziel der Netto-Null-Emissionen der Schweiz eingebunden werden. Sind wir ehrlich: Dies fordert nicht nur eine ?nderung der Direktzahlungs- und Preispolitik seitens des Bundes, sondern es bedeutet auch, dass wir alle unseren Konsum ?ndern m¨¹ssen ¨C sprich, mehr pflanzliche Proteinprodukte aus der Schweiz essen. Bauern ben?tigen Sicherheit und langfristige Absatzkan?le, um das wirtschaftliche Risiko eines Systemwechsels mitzutragen. Um diese Absatzkan?le zu schaffen, m¨¹ssen auch Produktionsanlagen und Verarbeitungsketten f¨¹r pflanzliche Proteine aufgebaut werden. Dann kann eine Skalierung des Marktes gelingen: Meist ist ja nicht die Bohne, sondern das Produkt gefragt; auch international. Vielleicht sehen wir bald nicht nur Schweizer Schoggi aus Kakaobohnen, sondern auch Schweizer Pflanzensteaks aus eigenen Leguminosen als Erfolgsprodukt auf dem Markt?
Bessere Pflanzen und besserer Dialog
Zudem m¨¹ssen wir die Pflanzen durch Z¨¹chtungen verbessern, um sie robuster gegen¨¹ber dem Klimawandel zu machen. Wenn die Pflanzen gegen Sch?dlinge resistent sind, liefern sie einen stabileren Ertrag. Und wir k?nnten auch den N?hrwert der Pflanzen durch Z¨¹chtungen noch steigen, zum Beispiel indem wir den Eisengehalt erh?hen und so H¨¹lsenfr¨¹chte als Fleischersatz noch attraktiver machen.
Warum f¨¹hren wir nicht mit den B?uerinnen und Bauern einen offenen Dialog dar¨¹ber, welche Betriebe unter welchen Bedingungen zu einem Systemwechsel bereit w?ren? ?bergangszeiten und schrittweise L?sungen sind hier gefragt. Dialoge und Kompromisse sind ein Element der Schweizer DNA. M?ge sich diese St?rke auch hier entfalten ¨C im Interesse von mehr Selbstversorgung und ?kologie.
Beat Keller und Mira Wecker haben massgeblich zu diesem Artikel beigetragen.
1 Keller, B., Oppliger, C., Chassot, M., Ammann, J., Hund, A., Walter, A. Swiss agriculture can become more sustainable and self-sufficient by shifting from forage to grain legume production. Commun Earth Environ 5, 40 (2024). https://doi.org/10.1038/s43247-023-01139-z
2 Agrarbericht 2023 des Bundesamtes f¨¹r Landwirtschaft: externe Seitehttps://agrarbericht.ch/download/pictures/d2/9va54lqp5wae8emkrw0l466uf37q22/ab2023_komplett_d_web.pdf
Zum 125. Geburtstag von Friedrich Traugott Wahlen
Am 7.M?rz 2024 findet an der ETH Z¨¹rich eine Abendveranstaltung zu Ehren von Friedrich Traugott Wahlen statt. Reden setzen Wahlens Wirken in Relation zu den grossen Herausforderungen des Ern?hrungssystems und der Agrarproduktion unserer Zeit. Ein kurzer Film beleuchtet Wahlens historisches Wirken und verschiedene ETH-Agrarprofessor:innen diskutieren zusammen mit der Direktorin Agroscope Eva Reinhard ¨¹ber aktuelle Fragen der Landwirtschaft in der Schweiz.
7. M?rz 2024, 17:15 - 18:45 Uhr, Audi Max, ETH Z¨¹rich Hauptgeb?ude, R?mistrasse 101, 8092 Z¨¹rich
Weitere Informationen unter: P?anzliche Proteine in der Schweiz: Vom 2. Weltkrieg bis heute